Finalkapitel 173 - Teil 2 - Die Bar am Ende des Universums
Finalkapitel 173 - Teil 2 - Die Bar am Ende des Universums
„Hammer, oder?!“ – „Sag mir, dass ich träume, Nai.“ – „Nein“, flüsterte sie und betrachtete ehrfürchtig das gleißend leuchtende Schauspiel in der Ferne, „wir sind
absolut wach.“ Adam schluckte. „Soll ich jetzt lachen oder weinen?“ – „Mach’ es einfach wie ich und staune“, sagte Naike und schlang ihre Arme um seinen zitternden Leib. Minutenlang standen sie unbewegt.
Die trockene Kälte ließ ihre Augen tränen. „Bist du sehr traurig, Ad“, fragte Naike vorsichtig. Er schüttelte den Kopf. „Ich bin leer“, antwortete er leise, „seelenlos.“ – „Aber nein, das bist du nicht!“, widersprach sie ihm heftig und zog ihn noch fester an sich. „Doch, wir sind verloren, meine Liebe“, resümierte Adam bitter.
Nur wenig später betrat das Paar die Bar am Rande des Universums, und sie schüttelten die Kälte aus ihren Gliedern, als sie die wohlige Wärme des Lokals umhüllte.
Hinter dem Tresen stand ein weißhaariger Mann, der sie neugierig musterte. Irgendwie kam er Adam bekannt vor, doch es gelang ihm nicht, ihn einzuordnen. „Ganz schön was los heute!“, stellte der Schwarze überrascht fest, „drei Gäste an einem Tag ist absoluter Rekord, sonst verirrt sich höchstens mal einer alle paar Wochen hierher, wenn es hoch kommt. Bitte, nehmen Sie doch Platz!“
„Und davon läßt es sich leben?“, fragte Naike verwundert, während sie sich auf einen der Barstühle setzte. Statt zu antworten umspielte ein kaum sichtbares Lächeln die Lippen des alten Mannes. Gelassen und aufmerksam taxierte er die junge Frau, die vor ihm saß. „Naike Le Normand, nicht wahr?!“, sagte er dann selbstsicher.
Sie nickte verblüfft. „Woher kennen Sie meinen Namen?“ – „Sie wurden angekündigt“, erklärte der Weißhaarige, als wäre dies völlig logisch. „Sind Sie etwa auch ein Weltenwanderer?“, wollte Naike wissen. „Ein Weltenwas?“, redete Adam dazwischen, wurde aber nicht beachtet. „Nein“, lachte der Barmann, „ich schaue nur ab und zu mal nach dem Rechten, damit das Chaos nicht überhand nimmt, wenn Sie verstehen. Möchten Sie etwas trinken?“
„Nein, ich will jetzt wissen, was ein Weltenwanderer ist und noch so einiges mehr“, blaffte Adam gereizt und fühlte sich durch eine plötzliche Unruhe veranlaßt, die Anzahl seiner Finger zu überprüfen, auch wenn er gar nicht wusste warum. Der Barmann nickte Naike, der man deutlich ansah, dass sie zu flüchten gedachte, aufmunternd zu.
Nach einer Minute des Schweigens verwarf sie die Fluchtgedanken und begann zu erklären, sprach von Parallelwelten, Bewußtseinsfokussierung und schlußendlich auch von der Abnormität, die sie damals ihre Welt spontan und unerwartet hatte wechseln lassen. Adams Augen wurden immer größer, doch er sagte nichts. Auch nicht, nachdem ihr Redefluß nach der Ankündigung der geplanten Wiedervereinigung mit ihrem Alter Ego geendet hatte.
„Was?“, fragte Naike Adam, der mit leerem Blick den Shaker in der Hand seines Gegenübers fixierte. Sie winkte vor seinem Gesicht herum. „Hallo! Naike an Erde, hört man mich?“
„Ich wache gleich auf und habe alles geträumt, ja?!“, meinte Adam zutiefst verunsichert. Naike stöhnte lauter als gewollt auf. „Was bitte muss den noch passieren, damit du mir endlich glaubst?“, klagte sie und sah den Barmann hilfesuchend an. Der Weißhaarige grinste. Mit den lebendigen Augen einen kleinen Jungen war er dem Gespräch des Besucherpaares gefolgt. Diesen Dickkopf von Mann würden selbst sechs Finger an jeder seiner Hände nicht überzeugen, dachte er amüsiert, verwarf die Umsetzung dieser Idee aber wieder, als Adam plötzlich forderte, das Portal zu sehen.
„Um Himmels Willen, nein! Denken Sie erst gar nicht daran!“ – „Wieso nicht? Ich gehe einfach hindurch und schaue mir die Welt meiner Frau mal ganz unverbindlich an.“
„Ein Übertritt ist alles andere als angenehm und mit nicht zu unterschätzenden Gefahren verbunden!“, warnte Naike erschrocken. „Im schlimmsten Fall verlierst du den Verstand.“ – „Och, ich doch nicht“, sagte Adam vergnügt, „zur Not hab ich doch die Medis vom Onkel Doktor Blythe.“
„Bitte tun Sie das nicht“, appellierte der Weißhaarige noch einmal eindringlich an seinen Gast. „Glauben Sie mir, das Beste ist, wenn Sie zulassen, dass ihre Frau ihre Erinnerungen manipuliert, wenn sie je wieder in Frieden leben wollen.“
„
Du hast aber nicht den Verstand verloren“, stellte Adam fest, „also, zumindest nicht so sehr“. Naike boxte ihn entrüstet gegen den Arm, aber er feixte nicht mit, sondern sah sehr nachdenklich aus. Sie suchte seinen Blick. „Ich hatte Glück, Adam“, sagte sie ernst.
Adam nickte dem Barmann zu, bestellte noch zwei Kaffees, griff Naike dann am Arm und zog sie mit hinaus. Schon die ganze Zeit über hatte er sich wieder und wieder die Bilder angeschaut, die durch das Fenster hinter der Bar in der Dunkelheit aufleuchteten, und nun standen sie vor einer riesigen Leinwand im Gelände hinter dem kleinen Gebäude.
„Ein Autokino, wie praktisch! Aber was ist das für ein komischer Film?“, wunderte sich Adam. „Vermutlich ein Blick irgendwo in deine Welt.“ Er sah sie erschrocken an. „Du meinst Live-Aufnahmen? Könnte etwa auch ich schon dort zu sehen gewesen sein? Wohlmöglich auf dem Klo? Oder gefilmt bei noch Schlimmerem?“ Adam wurde blümerant.
Naike streichelte seine blasse Wange und lächelte. „Ich glaube nicht. Bisher sah ich ohne Ausnahme nur Außenaufnahmen, so ähnlich wie bei Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen halt.“ – „Stimmt“, bestätigte Adam ihre Beobachtung, „aber es ist dennoch gruselig. Wo bin ich hier bloß gelandet?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf.
„Lass uns noch die Kaffees trinken und dann eine Unterkunft für die Nacht suchen, ja? Und morgen fahren wir dann heim“, bat Naike und drückte ihren Liebsten bei dem Gedanken, ihn bald verlassen zu müssen, erneut fest an sich, um sich dieses Gefühl noch besser für immer einzuprägen zu können. „Und du liebst mich wirklich so sehr, dass du das Wagnis eingegangen bist, deinen Verstand zu verlieren?“, fragte Adam ungläubig. „Das hätte ich ohne dich über kurz oder lang bestimmt sowieso“, seufzte Naike. Doch Adam hörte inmitten ihrer Worte nur das bittere Ja.
„Ach, Naike?!“ Sie drehte sich um und sah dem Barmann vom Rande der Welt in sein weises und gütiges Gesicht. „Ja?“ – „Eines hatte ich noch vergessen: So sehr ich es auch verstehen würde, aber widerstehen Sie der Versuchung, ihn mitzunehmen, wenn sie gehen“, mahnte er eindringlich. Naike nickte traurig, winkte ihrem Gastgeber zum Abschied noch einmal zu und setzte sich dann zu Adam in den Wagen.
In Adams goldbraunen Augen mit dem kleinen bißchen moosig schimmernden Grün spiegelten sich die Neonlichter der Werbeschilder. „Du wirst mich also wirklich verlassen?“, fragte er leise. „Du wirst dich an nichts erinnern und weiterhin mit mir und allen deinen Lieben leben“, vermied Naike das klare Ja. „Aber das ist nicht das Gleiche, ich will
dich und keine verdammte Simulation!“ Adam wandte sich von ihr ab und biss sich auf die Lippe.
Hilflos berührte sie ihn an der Schulter, doch er schüttelte sie ab. Da kam ihr ein jäher Gedanke. „Ad, bitte! Ich kann es nicht ändern, es ist wie es ist, und es wird auch weiterhin so sein, wie es sein soll. Aber ich kann dir versichern, dass du wegen der ganzen Sache bald nie wieder leiden wirst. Und ich habe auch noch ein Abschiedsgeschenk für dich, was zu deinem zukünftigen Glück erheblich beitragen wird.“ – „Ich will aber kein Geschenk, ich will
dich“, wiederholte Adam beinahe lautlos klagend, denn das Sprechen fiel im zunehmend schwerer, und eine einzelne Träne ran seine Wange herab, schnell gefolgt von einer zweiten.
Gar nichts mehr wusste Naike darauf noch zu entgegnen, deshalb küsste sie ihn innig …
... streichelte beruhigend seine Hand und griff auch während der Fahrt immer wieder nach ihm, als wäre dies eine letzte Möglichkeit, sich nicht wieder zu verlieren. Doch mit jedem Kilometer näherten sie sich mehr und mehr dem Augenblick des Abschieds für immer.
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Am Mittag des Folgetages trafen Adam und Naike in der Simlane 10 ein. Den Rest der Nacht hatten sie in einem kleinen Motel verbracht, ineinander verschlungen in einem Schwebezustand zwischen symbiotischer Glückseligkeit und nackter Angst vor dessen baldigem Ende.
„Hier ist niemand“, wunderte sich Adam, „sind wohl ausgeflogen.“ – „Nein, alle sind da“, widersprach Naike, „es ist nur deshalb so still, weil sie … na, du wirst es sehen", erklärte sie zerknirscht. "Tut mir leid, wenn ich dich noch einmal quälen muß, aber es wurde so eingerichtet, falls du mir bis zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht glauben würdest. Und außerdem ist es eh besser, wenn niemand zufällig Zeuge der Wiedervereinigung und unseres Abschiedes wird.“ Adam verzog das Gesicht. „Wohin jetzt?“ – „Nach draußen.“
Sie durchquerten das verlassene Haus, in dem es beinahe so totenstill wie am Weltenende war.
Und auch draußen zwitscherte kein einziger Vogel, das Meer lag still und nicht das kleinste Lüftchen bewegte die Vegetation. Adam Miene erhellte sich jedoch trotz der beklemmenden Atmosphäre, als er seinen Sohn am Pool erblickte.
Erleichtert rannte er auf ihn zu und umarmte ihn, doch statt eines warmen, geschmeidigen Körpers empfing ihn eine Säule aus Stein, hart und völlig unbeweglich.
Steif und leblos starrte Sean geradeaus. Zutiefst erschüttert Adam zurück und prallte gegen Naike.
“Er ... er lebt nicht“, rief Adam in Panik und zitterte am ganzen Leib. „Bleib ruhig, er ist okay. Seine Einheit ist bloß pausiert, wie im Moment alles andere hier auch.“ Naike wies um ihn herum.
Erst jetzt erweiterte Adam seinen Blick auf das gesamte Grundstück und sah auch den Rest seiner Familie im gleichen Zustand verharren, wie seinen Ältesten.
Ihm schwindelte. „Das ist der blanke Horror, ich will hier weg!!“, stöhnte er und seine Lippen bebten. Naike redete beruhigend auf ihn ein, wurde aber langsam selbst nervös. Er würde doch nicht ausflippen? Etwas Dummes tun, sich selbst oder einem anderen schaden? „Komm’ wir gehen rein und suchen deine Tabletten, ja?!“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, doch er stieß sie harsch von sich.
Dann stürmte er mit Riesenschritten quer durch das Blumenbeet zu seinem Bruder und begann diesen zu schütteln. „Wach auf! Verdammt, wach
sofort auf!“, brüllte er in völliger Hilflosigkeit aufgebracht. Naike schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
Doch weder Schütteln noch das Anbrüllen hatten Erfolg. Wogen des Entsetzens nahmen Adam seine Kräfte. Taumelnd drehte er sich zu seinen Zwillingen um, und für einen Moment dachte Naike, er würde stürzen. Doch er fing sich wieder und lief plötzlich Richtung Meer. Alles ging so derart schnell, dass ihr keine Zeit zum Handeln blieb. Aber was sollte sie auch tun? Wie sollte sie einen außer Rand und Band geratenen erwachsenen Mann von kräftiger Statur bremsen? Wo ist bloß Voodi?, dachte sie verzweifelt, doch da wurde Adam bereits von etwas ganz anderem zur Raison gebracht.
Naike schrie entsetzt auf, als er mit voller Wucht gegen die in der Sim-Welt natürliche Begrenzung prallte, die ein Grundstück vom Meer trennte, wenn man nicht gerade eines mit Strand besaß. Und dies war nicht das erste Mal, also war völlig klar, er hatte es mit Absicht getan!
Benommen ging er zu Boden und blieb zunächst regungslos liegen. Voller Angst lief Naike zu ihm, hob seinen Kopf, presste ihn an ihre Brust und redete auf ihn ein. Dass alles so schwer werden würde, nachdem er doch bereits den Ursprung seiner Realität gesehen hatte, hatte sie nicht erwartet. Aber die Theorie zu betrachten war immer noch etwas anderes, als sie dann ungeschönt in der Praxis erleben zu müssen.
„Töte mich“, bat Adam kraftlos und völlig fertig mit der Welt. „Du spinnst!!“, rief Naike verzweifelt. „Verstehst du denn nicht, sobald ich gegangen bin, ist alles wieder wie
immer. Ihr seid unter euch, und du wirst verdammt noch mal glücklich sein, das schwöre ich dir!!“
„Ich verspreche es dir! Ich verspreche es dir!!“, wiederholte sie immer wieder und sah ihm dabei eindringlich in seine verhangenen Augen, als könnte sie es auf diese Art endlich in seinen Verstand hämmern. Seine Lippen begannen ihre zu suchen und fanden sie schließlich. Halt mich fest, forderten seine gierigen Küsse und sie verschmolzen in gegenseitiger Liebkosung für kurze Zeit wieder zu einer Einheit, die beiden die Kraft spendete, doch noch alles durchzustehen zu können und vielleicht sogar zu meistern. Hitze wallte durch Naikes Körper, durch
beide ihrer Körper. Und während der eine bedingungslos liebte, kam der andere ganz langsam aus seinem Versteck hinter dem Baumhaus hervor.