Kapitel 131 – Nichts als Scherben
Kapitel 131 – Nichts als Scherben
"Schicksalsstunde Vaterschaftstest, so so", las Joseph Tallis auf der Rückseite der Zeitung, die sein Bruder gerade belustigt durchsah, denn sie enthielt wieder einmal nur den letzten Mist. "Apropos … sag mal, willst du dich nicht mal etwas mehr um deinen Sohn kümmern? Ich hab’ das Gefühl, dass Milo ..." - "Ich muss gleich noch ein letztes Mal zur Uni, Joe, aber
du hast doch nichts zu tun!", warf Adam ein, ohne seinen Blick von den Zeilen zu heben.
"Nichts zu tun, spinnst du?? Ich muss noch packen, irgendeiner muss sich schließlich darum kümmern, dass der ganze Krempel heil daheim ankommt", meinte Joe entrüstet und sah dann zur Tür. "Hoppla, wer beehrt uns denn da zu früher Morgenstunde?"
"Hey, grüß dich!" Naike nahm Joseph und seine freundliche Begrüßung überhaupt nicht wahr. Mit schnellen Schritten war sie hereingestürmt und baute sich nun vor dem Vater ihres Sohnes auf. "Du haust ab nach Frankreich und lässt Sean und mich hier alleine sitzen - ist das wahr?!"
"Jein", sagte Adam ruhig, stand auf und legte die Zeitung beseite. „Dass wir zurück nach Thionville in unser Elternhaus ziehen, ist wahr, ja. Aber erstens ist das nicht "Abhauen" zu nennen, sondern ein wohlüberlegter Schritt, und außerdem werde ich Sean regelmäßig besuchen und er ist natürlich auch herzlich eingeladen, seine Ferien bei uns zu verbringen.
"Aber das kannst du doch nicht machen! Das wird viel zu selten sein! Sean braucht eine feste Hand, du weißt doch, wie er ist. Und er wird dich schrecklich vermissen!" - Adam knibbelte an seinen Nägeln herum und grinste: "Du meinst,
du wirst mich schrecklich vermissen, hm?!"
"Ach Quatsch, jetzt schwenk' mir nicht das Wort im Mund herum!" - "Es heißt
dreh’ mir nicht das Wort im Mund herum", korrigierte der Herr Professor, was Naike gleich noch wütender machte, obwohl er Recht hatte.
Nun begann eine wilde Argumentation über das Für und Wider des Wohnortwechsels, die zunehmend unsachlicher wurde.
Joseph, der sich eigentlich auf den Genuss seiner frischen Pfannkuchen gefreut hatte, wurde unbehaglich zumute ...
... und die immer derbere Wortwahl der beiden Streithähne ließ ihn einen kurzen Moment später ins Obergeschoß flüchten, um sich um Milo zu kümmern, da Eva-Maria ein anstrengende Nacht mit ihrem Baby verbracht hatte und noch schlief.
"Gut, gut, in Ordnung“, blaffte Naike, „dann hau doch ab!! Von mir aus brauchst du nie mehr wiederzukommen. Ich werde wieder das alleinige Sorgerecht beantragen, dann ..." - "NAIKE!!", rief Adam entrüstet, "das ist doch jetzt wohl nicht dein Ernst?!" Seine bisher stoische Überlegenheit ging nun zunehmend flöten. "Wenn du mir tatsächlich den Jungen vorenthältst, werde ich kämpfen bis zum Letzten, da kannst du Gift drauf nehmen!!!"
Der Schmerz in seinem Gesichtsausdruck ließ sie innehalten. "Es tut mir Leid, ich ... ich ... das war doch nicht ernst gemeint."
"Es tut dir Leid?? ... Es tut dir LEID??" Adam schüttelte sie kräftig. "Wie kannst du sowas nur sagen?!"
Dann ließ er abrupt wieder von ihr ab, schmiss seine Brille unsanft auf den Küchentresen und wandte sich aufgewühlt und deshalb völlig appetitlos seinem Frühstück zu.
Naike hasste es zutiefst, mitten in einem Gespräch einfach so stehen gelassen zu werden, und so einfach aufgeben wollte sie erst recht nicht. "Du bleibst hier, sonst ... sonst ...", ruderte sie hilflos auf der Suche nach einer passenden Drohung herum, während ihr langsam die Tränen kamen.
"Sonst was, hä?! Was kommt jetzt als nächstes? Ich bring mich um oder sowas?", fauchte Adam empört. "Nein, ich ...", stotterte sie weiter, während sich auf seiner Stirn eine steile Zornesfalte bildete. "Ja, was nun??? … Weißt du was? du stiehlst mir meine Zeit!! Du bist wie alle anderen Weiber und willst nur, dass ich dir den allzeit bereiten Hengst gebe, der dir auf Abruf die Befriedigung verschafft, die du in deinem täglichen Einerlei sonst nicht finden kannst! Das ist es doch, nicht wahr?! Aber einen Ort, an dem
ich mich zugehörig fühlen kann,
den gibst du mir nicht. Den bekommt ein anderer!!"
Unvermittelt sank Naike vor ihm auf die Füße, umklammerte ihn so fest sie konnte und begann unkontrolliert zu weinen. "Du darfst mich nicht verlassen ... ich liebe dich doch!!"
Für einen Moment sagte Adam gar nichts mehr, sondern starrte nur völlig fassungslos auf seine Ex-Freundin, die sich plötzlich wie ein kleines Kind benahm. Dann zog er sie schnell wieder nach oben ...
... und die Affen in seinem Kopf liefen Sturm, als sie leise an seiner Schulter weiterschluchzte. Er vernahm den ihm so bekannten Geruch ihres Haares und Erinnerungen drängten sich in seinen aufgewühlten Geist. Aber nach ein paar sich wie eine Ewigkeit anfühlenden Sekunden hatte einer der Affen den inneren Kampf gewonnen.
Auch Naike war der Moment des Schweigens wie eine Ewigkeit vorgekommen. Sie hatte darauf gewartet, dass er sie in die Arme nahm, tröstete und im besten Falle seine Pläne verwarf. Aber stattdessen sagte er nun nur kühl: "Geh bitte nach Hause, du weißt, dass es vorbei ist, es gibt kein Zurück für uns."
"Waas?", rief sie völlig überrascht und zitterte am ganzen Leibe. "Nein ... nein, auf keinen Fall, das ist nicht dein Ernst, so darf es nicht sein!! Du lügst, du liebst mich auch, du kannst nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden!" In Adams Schläfen begann es unter großem Bemühen, die Kontrolle zu bewahren, wild zu pochen.
"GEH ... NACH ... HAUSE!", sagt er dann noch einmal überdeutlich. "Du bist ein egoistisches Schwein!" stieß Naike hervor ...
… und Adams Sicherung knallte durch. In rasender Wut schlug er zu.
"Was ... WAS HAST DU GETAN???"
"Oh, mein Gott, Naike, es tut mir so leid, d … das wollte ich nicht", beteuerte Adam, über sich selbst wieder einmal völlig entsetzt. Naike trat einen Schritt zurück und schüttelte entsetzt und ungläubig den Kopf, dann stürmte sie blind vor Tränen Richtung Haustür ...
... wobei sie einer Frau in die Arme lief, an deren Gesicht sie sich sofort erinnerte, als wäre es gestern gewesen.
Unfähig zu jeglicher anderen Reaktion schubste sie sie harsch zur Seite ...
... und rannte, wie von einer Meute hungriger Wölfe verfolgt, ziellos ins Freie.
*
"Mein kleiner wilder Bruder … jähzornig wie eh und je. Der wievielte Spiegel war das jetzt, den du zertrümmert hast, weil du deine eigene Visage nicht mehr ertragen konntest, hm?"
"Ich weiß es nicht", antwortete Adam tonlos und starrte für einen Moment ins Leere.
"Du solltest dir helfen lassen", schlug Nastassja vor, "ich kann dir meinen Psychiater empfehlen."
"Ich brauche keinen Psychiater", sagte Adam matt, "schließlich schieße ich nicht auf meine Geschwister." Nastassja zog ihre Stirn kraus. "Du musst es selbst wissen."
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"Was sitzt du denn hier im Düsteren? Hast du inzwischen gepackt?" - "Nein, "Maman", zisch ab!!"
"Kann ich etwas für dich tun?" - "VERSCHWINDE!", blaffte Adam noch einmal barsch und schlug Josephs Hand weg, die dieser mitfühlend auf seine Schulter gelegt hatte. Und dann sagte auch sein Bruder: "Du musst selbst wissen, was du tust." An der Tür drehte er sich noch einmal um. "Morgen sind wir in Thionville und fangen ganz neu an, ja?!" Adam nickte unmerklich und heiße Tränen rannen eine nach der anderen über sein Gesicht.